Die 15. Infanteriedivision im Zweiten Weltkrieg Die 15. I.D. in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges, Teil 3   Der damalige Oberleutnant Günter Sieling (Pinonierbataillon 15) berichtet in seinen Buch “Lebens- erinnerungen, Band II” über die Endphase des Zweiten Weltkrieges: Jetzt, da sich Ost - und Westfront auf deutschem Boden immer näher kamen, hielten wir es für eine verführerische Vorstellung, wenn die Westalliierten gemeinsam mit den Resten der deutschen Wehrmacht eine Front gen Osten errichteten, um dem Bolschewismus Einhalt zu gebieten und ihm ein befürchtetes Vordringen bis zum Atlantik zu verwehren. Wie man später erfuhr, hat der Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop tatsächlich Mitte März 1945 versucht, mit den Westmächten Verhandlungen über einen Separatfrieden einzuleiten. Aber selbst der ewig glühende Kommunistenhasser, der englische Premierminister Winston Churchill, hat sich dazu nicht verleiten lassen. Damit schwand auch der letzte Strohhalm, an den sich in diesen Wochen viele von uns geklammert hatten. Die meisten aber warteten noch immer auf das militärische Wunder, mit dem uns das Propagandaministerium immer wieder hinhielt. Da wir jetzt hauptsächlich pioniertechnisch eingesetzt waren und daher nicht direkt in der HKL lagen, konnte ich mir sogar erlauben, mit der Kompanie einen kleinen Kompanieabend zu veranstalten. Es wurde gesungen, heitere Vorträge wurden gehalten, und während aus unserem Radio unterhaltsame Musik ertönte, wurden Marketenderwaren verteilt und Bier getrunken, das wir von einer Brauerei geholt hatten. Zwei Tage später lud ich die 12 Offiziere unseres Bataillons zu einem Herrenabend in meinem recht komfortablen Kompaniegefechtsstand ein. Es gab Marketenderwaren (Liköre und Zigaretten), Bier, Kalbs - und Schweinebraten und zum Nachtisch Eierkuchen. Leider sollte es, bedingt durch die Ereignisse an unserem Frontabschnitt, die einzige derartige Veranstaltung bleiben. Rückblickend betrachtet, waren es eine vorgezogene Abschiedsfeier unserer Einheit. Aber das wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Am 14. März 1945 gab ich einem Oberleutnant unseres Bataillons, der gerade zu einer Dienstreise nach Berlin startete, einen in Eile an meine Eltern geschriebenen kurzen Brief mit, der auch tatsächlich recht schnell sein Ziel erreichte. Ich bestätigte darin den Empfang eines Briefes aus Berlin, der einen vollen Monat unterwegs war und die zunehmenden Transportbehinderungen dokumentierte. Während der Divisionsgefechtsstand schon längst westwärts in den Raum Trentschin verlegt worden war, hielten wir noch immer unsere Stellungen in Neusohl (heute Banska Bystrica), von wo aus ich meinen Eltern am 24.März 1945 nachfolgenden Brief schrieb: „O.U., den 24.3.1945 Liebe Eltern! In den letzten Tagen bin ich wieder sehr wenig zur Ruhe gekommen. Dauernd war ich mit meiner Kompanie unterwegs, habe Brücken gesprengt, Baumsperren angelegt und Minen verlegt. Gestern und vorgestern haben wir wieder in den Bergen Stellungen gebaut. Dabei muss man dauernd bergauf und bergab klettern. Da weiß man am Abend, was man gemacht hat. Im Augenblick befinden wir uns wieder in Neusohl, wo wir einige Brücken zur Sprengung vorbereitet haben. Der heutige Tag war sehr heiß. Dem Iwan ist es immer noch nicht gelungen, Neusohl einzunehmen. Den ganzen Tag über lag sehr schweres Artilleriefeuer auf der Stadt, die man kaum wiedererkennt. Eine von den sieben Brücken, die wir zu sprengen haben, ist heute Mittag durch feindliches Artilleriefeuer in die Luft geflogen. Unser Kampfraum wurde in letzter Zeit mehrmals im Wehrmachtsbericht genannt. Schade, dass wir nun bald Neusohl werden aufgeben müssen. Denn hier hätte es sich leben lassen. Jetzt allerdings sind die Strassen wie ausgestorben. Draußen ist es inzwischen dunkel geworden und der Iwan hat sich etwas beruhigt. Mein Gefechtsstand befindet sich in einem splittersicheren Haus und ich hoffe, dass wir wenigstens heute Nacht noch ruhig schlafen können. Soeben ist unsere Feldküche mit Verpflegung gekommen und hat mir drei Briefe vom 5.3., 13.3. und 14.3. mitgebracht. Gott sei Dank seid Ihr bis jetzt immer noch gut durchge- kommen. In Berlin muss es ja schaurig aussehen. Man muss sich immer nur wundern, dass es dort überhaupt noch bewohnbare Häuser gibt. Bitte bestellt allen Verwandten und Bekannten Grüße von mir. Man hat hier täglich so viel zu tun, zu befehlen, zu organisieren und muß so vieles im Kopf behalten, dass es nicht möglich ist, an alle zu schreiben, so gern ich es möchte. Bei solch einem erbitterten Kampf ist es nicht einfach, die Verantwortung für meine über 100 Leute zu tragen. Inzwischen habe ich meine Kompanie wieder einigermaßen zusammengeschweißt, habe gute Unteroffiziere und zwei Leutnants als Zugführer, mit denen ich mich gut verstehe“. Am 25.3.1945 räumten wir das inzwischen heiß gewordene Pflaster von Neusohl. Es wurde zum Schluss schon ziemlich ungemütlich. Trotz allem haben wir noch viel Glück gehabt. Ich hatte mit meiner Kompanie die Sprengung aller Brücken durchzuführen. In letzter Minute hat noch alles gut geklappt. Teilweise war der Iwan schon recht nahe an die Brücken herangekommen und musste zusehen, wie sie vor seiner Nase in die Luft flogen. Als ich später an einer anderen Brücke mit einigen meiner Leute zur Einweisung stand, schlug neben uns eine Granate ein und verwundete alle sechs Soldaten , z.T. leicht, aber auch schwer. Nur ich blieb unverletzt und hatte wohl wieder mal einen guten Schutzengel. Mein Kommandeur, Hauptmann Ritter, hatte am 25.3. Geburtstag und meinte, dass die erfolgreichen Sprengungen der Brücken sein schönstes Geburtstagsgeschenk gewesen seien, denn im Falle einer Panne hätte man ihn und auch uns zur Verantwortung ziehen können. Nachdem die Brücken gesprengt, Strassen vermint und an Engpässen Baumsperren angelegt worden waren, übernahmen Infanterieeinheiten unserer Division die Sicherung, und wir wurden zur Auffrischung und Materialergänzung etliche Kilometer westwärts an den Fluß „Waag“ verlegt, der hier die Grenze zwischen Slowakei und Tschechei bildet. Das Wetter war frühlingshaft warm geworden, so dass man nachts zur Not auch im Freien hätte übernachten können. Je mehr wir Gelegenheit zum Radiohören hatten, je mehr nahmen wir auch die für uns trostlose militärische Lage an allen Fronten wahr. In meiner Kompanie befand sich eine Anzahl von Leuten, deren Angehörige in den bereits vom Feind besetzten Gebieten verblieben waren und zu denen es nun keine postalische Verbindung mehr gab. Diese Ungewissheit war für die Betroffenen eine große Belastung. Nur die Kameradschaft, das Gefühl, dass eine große Anzahl von Kameraden das gleiche Schicksal teilten und die Hoffnung auf eine baldige wie auch immer geartete Entscheidung gaben uns die Kraft , auch dem Ende dieses Krieges aufrecht entgegen zu sehen. Das russische Oberkommando meldete „Zur Lage an den Fronten am 16. März 1945“: „In letzter Zeit gehen Meldungen über ein Anwachsen der Fahnenflucht in der deutschen Armee ein. Soldaten der zerschlagenen deutschen Einheiten setzen sich allein oder in kleinen Gruppen ins Hinterland ab, irren durch die Wälder, legen Zivilkleidung an und verstecken sich in den Ortschaften. Die deutsche Führung rechnet grausam mit den Deserteuren ab. Gefangene berichten, dass in mehreren deutschen Städten entflohene Soldaten erhängt und erschossen wurden“. Als ich in diesen Tagen im Radio hörte, dass die Wehrmacht alle Jungen des Jahrgangs 1929 zum Kriegsdienst einberief, um auch die jetzt 16-Jährigen nach kurzer Grundausbildung an die Front zu schicken, musste ich an meinen Cousin Günter Tegtmeier denken, der ein Jahr zuvor im Rheinland als 17-Jähriger zur Flak einberufen worden war. Noch zwei Jahre zuvor hatte meine Tante erleichtert geäußert, wie froh sie sei, dass ihre beiden Jungen noch zu jung für den Wehrdienst seien. Inzwischen war ihr jüngster Sohn Walfried, 13-jährig, beim Spielen mit einer Pistole ums Leben gekommen und nun war auch noch ihr einziger Sohn Günter eingezogen worden. [Es] sei an dieser Stelle vermerkt, dass Günter Tegtmeier den Krieg heil überstanden hat. Am meisten erschüttert aber waren wir über Hitlers „Verbrannte-Erde-Befehl“, der allerdings nicht über das Radio verbreitet wurde, sondern uns per Tagesbefehl vom 19.März 1945 erreichte, wonach jetzt auch an der Westfront, also auf deutschem Boden, alle Industrie- und Versorgungs- einrichtungen beim Rückzug zerstört werden sollen. Das einzig Erfreuliche war, dass dieser Befehl kaum befolgt und selbst vom Rüstungsminister Albert Speer boykottiert wurde, wie man nach dem Krieg erfahren hat. Nicht beneidenswert war auch das Schicksal der uns eigentlich immer recht freundlich gesonnenen slowakischen Bevölkerung. Die Männer wurden schon vor einigen Wochen zum Dienst in der deutschen Wehrmacht einberufen, und die Orte, über die der Krieg hinwegrollte, wurden arg mitgenommen. Während die Slowaken uns gegenüber eine recht freundliche Haltung bewahrten, dürften sie die Rote Armee zwiespältig empfangen haben. Die Tschechen dagegen ließen ihrem Hass gegen alles Deutsche schon jetzt freien Lauf. Am 2. 4.1945 überschritt die Rote Armee die Grenzen zu Österreich, worauf der NS-Gauleiter Baldur von Schirach die Stadt Wien zur Festung erklärte. Dennoch konnte nicht verhindert werden, dass Wien 10 Tage später von den Russen eingenommen wurde. Nachdem ich schon seit zwei Monaten keine Post mehr von meinen in Wien lebenden Schwiegereltern und so auch keine Nachricht von meinem Söhnchen bekommen hatte, machte ich mir große Sorgen. Mein letzter heute noch in meinem Besitz befindlicher Brief an meine Eltern ist datiert vom 12. April 1945. Mein Vater hat darauf handschriftlich vermerkt, dass er ihn erst am 13. Oktober 1945, also 6 Monate später, von der Post erhalten hat. Ich schrieb darin u.a.: „Protektorat, 12.4.1945. Liebe Eltern Seit zwei Tagen haben wir wieder einen großen Sprung nach Westen gemacht und befinden uns bereits im Protektorat Böhmen und Mähren, unmittelbar an der Grenze zur Slowakei. Unser Einsatz und die ständigen Absetzbewegungen haben mich in der letzten Zeit nicht zum Schreiben kommen lassen. Auch die letzten Tage waren wieder pausenlos angefüllt mit Kampfeinsätzen und pionier- technischen Einsätzen. Tiefe Baumsperren und Minenfelder wurden angelegt, vereinzelt die Kurven der Paßstraßen abgesprengt und Brücken zerstört. Mehrere Tage lang war ich auch mit meiner Kompanie wieder infanteristisch eingesetzt.Vor einer Woche habe ich wieder mal einen Granat- werfersplitter ins Kreuz bekommen. Er wurde entfernt, die Wunde verbunden und fertig. Heute ist alles schon wieder gut verheilt. Hier im Protektorat sieht es mit der Ernährung nicht so gut aus wie in der Slowakei, da es Lebensmittel nur auf Marken gibt. Auch ist es in den Häusern ziemlich schmutzig, so dass man sich ekelt, in die Häuser hineinzugehen. Die militärische Lage wird von Tag zu Tag immer ernster und wir alle warten auf den deutschen Gegenschlag. Wird er kommen? Wien ist ja seit gestern auch schon in der Hand der Russen. Mein schönes, armes Wien! Meine liebe [an Diphterie verstorbene Ehefrau] Helga werden sie hoffentlich ruhig in Sievering schlafen lassen. Wo wird mein kleiner [Sohn] Wolfgang-Dieter jetzt wohl sein? Wir haben schon seit 14 Tagen keine Post mehr bekommen. Von meinen Schwiegereltern in Wien habe ich schon seit zwei Monaten keine Post mehr bekommen. Sonst, liebe Eltern, geht es mir gut. Aber wie wird es Euch jetzt in Berlin gehen? Hoffentlich kommt überhaupt noch Post zu Euch durch. Jedenfalls wünsche ich Euch alles Gute. Herzliche Grüße Euer Günter“. Es gelang unserer 15. ID.(mot.), den Gegner zwischen Ungarisch Brod und Prerov immer wieder aufzuhalten. Die bergigen Ausläufer der Beskiden ermöglichten keine durchgehende HKL mehr. Unsere Strategie war, das Vordringen des Gegners so stark zu behindern, dass unserer Division ein planmäßiger Rückzug ermöglicht und ein Einkesselungsversuch des Russen verhindert wurde. Unsere Abwehrkämpfe konzentrierten sich hauptsächlich an den Strassen und an den Fluss- übergängen. Wie brenzlig manches Mal die Situation werden konnte, erlebte ich Mitte April 1945, als ich den Auftrag bekam, mit meiner Kompanie den Gegner am Eingang zu einer Passstrasse aufzuhalten. Nachdem die letzten Einheiten unserer Division den Ort verlassen hatten, bezogen wir in etwa 200m Höhe eine vorbereitete Verteidigungsstellung, von wo aus wir zwar gute Sicht auf den Ort hatten, aber nicht verhindern konnten, dass der Gegner im Schutz der Bauernhäuser in den Ort einsickerte. Wir hatten den Auftrag, ein Nachrücken der Russen so lange wie möglich zu verhindern. Im Laufe des Tages, so hieß es, würden zwei Lastwagen mit Funkgerät zu unserer Verfügung stehen, damit auch wir uns als letzte Nachhut absetzen können. Das war die letzte Weisung. Aber erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Schon gegen Mittag sichteten wir zwischen den Häusern die ersten russischen Soldaten, die wir von unserer Höhe aus mit unseren Maschinengewehren sofort unter Beschuss nahmen, so dass sich der Gegner zunächst nicht weiter vorwagte. Gegen 14.00 Uhr sichtete ich mit meinem Fernglas zwei deutsche Soldaten mit Funkgerät auf dem Rücken, die im Begriff waren, unten an der Strasse in den gerade von Russen besetzten Ort hineinzugehen. Wir riefen und winkten und gaben Warnschüsse ab. Aber die beiden hörten uns nicht, liefen weiter in den Ort hinein und gerieten offenbar schon bald in russische Gefangenschaft, denn sie kamen nicht mehr zurück. Zusammen mit meinem Melder versuchte ich sodann, Verbindung zu unserer Nachbareinheit aufzunehmen, die 1 km nordostwärts eine weitere Strasse als Nachhut sichern sollte. Als wir aber nach 10 Minuten vom Rande eines kleinen Waldstückes Sicht auf diese Strasse bekamen, stellten wir fest, dass sich darauf bereits russische Marschkolonnen mit Pferden und Wagen nordwärts bewegten. Mit Karacho liefen wir durch das Waldstück zurück zu meiner Kompanie, wo es inzwischen durch Granatwerfer- einschläge zwei Tote und zwei Verwundete gegeben hatte. Um einer Einschließung zu entgehen, räumten wir nach Abgabe einiger Maschinengewehrsalven in Richtung Ortschaft sofort unsere Stellungen. Da sich diese auf einem Hügel befanden, gelang es uns, vom Feind unbemerkt, nach hinten auszuweichen. Mit unseren beiden Verwundeten -die beiden gefallenen Pionierkameraden konnten wir nicht mehr bergen- erreichten wir schon bald die Fahrstrasse. Tatsächlich standen hinter der nächsten Kurve zwei Lastwagen, die den Auftrag hatten, uns aufzunehmen. Da zwischen uns wegen der beiden fehlgeleiteten Funker keine Verbindung bestanden hatte, waren die Lastwagen gerade im Begriff, unverrichteter Dinge abzufahren. Oft im Verlaufe meines Lebens habe ich an unsere beiden gefallenen Pionierkameraden denken müssen, denn es waren die letzten Toten meiner Kompanie, die so kurz vor Ende des Krieges noch ihr Leben gelassen haben. Auch wenn Absetzbewegungen für eine Truppe keine Ruhmesblätter sind, so betrachteten wir sie dennoch für erfolgreich, weil unsere pioniertechnischen Sperrmaßnahmen bewirkt hatten, motorisierte Verbände, vor allen Dingen Panzer, solange aufzuhalten, bis sich unsere Division tatsächlich komplett bis in die nächste vorbereitete Auffangstellung abgesetzt hatte. Auf diese Weise war es der Heeresgruppe Süd in den letzten Wochen im Prinzip immer wieder gelungen, größere Durchbrüche des Feindes zu verhindern. Über Radio erfuhren wir, dass der damalige US-Präsident Roosevelt am 12. April unerwartet an einer Gehirnblutung gestorben war. Sofort gab es kurzfristig Spekulationen und Parolen, wonach der Nachfolger, Harry S. Truman, möglicherweise einen Kurswechsel in seiner Politik zu unseren Gunsten vollziehen würde. Wie man nach dem Kriege erfuhr, hatte auch Hitler gehofft, dass wieder einmal eine göttliche Vorsehung im Spiel sein könnte und der neue Präsident bereit wäre, zusammen mit Deutschland nun gegen den Bolschewismus zu Felde zu ziehen. Aber auch dieser Strohhalm zerbrach schnell, als erkennbar wurde, dass der neue Präsident, Harry S. Truman, die Politik seines Vorgängers unverändert fortsetzte. Am 16.April 1945 hatte die Sowjetarmee mit einer gewaltigen Übermacht, wie wir heute wissen, zum entscheidenden Sturm auf die tief gestaffelten Verteidigungskräfte an der Oder angesetzt und nach für beide Seiten sehr verlustreichen Kämpfen die deutschen Verteidigungslinien durchbrochen. Der Weg nach Berlin war frei! Einen Tag später, am 17.April 1945, ergaben sich die im Ruhrkessel eingekesselten Wehrmachts- truppen. Am 20. April 1945, zum 56. und letzten Geburtstag von Adolf Hitler, war, wie jedes Jahr, auch 1945 wieder eine Rede des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels angekündigt, die wir mit Spannung erwarteten. Alle Rundfunkgeräte waren eingeschaltet, denn viele rechneten damit, spätestens jetzt endlich etwas mehr über den gewaltigen entscheidenden Schlag zu erfahren, der noch einmal eine Wende bringen sollte. Aber wir warteten vergeblich. Während also die deutschen Fronten im Reichsgebiet Stück für Stück zusammenbrachen, zog sich unsere Heeresgruppe Süd ziemlich planmäßig zurück in Richtung Deutschland. Wir führten hier in diesen Tagen zwar keine großen Schlachten, aber auch die täglichen hinhaltenden Abwehrkämpfe und manchmal notwendigen Gegenangriffe forderten auf beiden Seiten ihren Tribut. Groß waren die personellen Ausfälle besonders bei den Infanterieregimentern. So mussten fast jede Woche Bataillone oder Kompanien aufgelöst und zusammengelegt werden. Besonders gravierend bei den Infanterieeinheiten war der Mangel an Offizieren. Eines Abends rief mich mein Bataillonskommandeur zu sich und übermittelte mir einen Divisions- befehl, wonach ich sofort die Führung eines in einer Abwehrstellung liegenden Infanteriebataillons zu übernehmen habe, nachdem der Btls.-Kommandeur und auch der letzte Kompaniechef verwundet worden waren. Da meine Kompanie mit mir, zwei Leutnants und etlichen Unteroffizieren eine noch relativ gute Personalstärke aufwies, war wohl die Wahl auf mich, den dienstältesten Offizier, gefallen. Ein Motorrad mit Beiwagen brachte mich zum Bataillonsgefechtsstand in der HKL, wo mich bereits ein Feldwebel erwartete und einwies. Das Bataillon hatte zwar noch drei Kompanien, die von zwei Feldwebeln und einem Uffz. geführt wurden, hatte aber nur noch die Hälfte seines normalen Personalbestandes. Es war für mich sehr schwer, eine fremde Einheit zu führen, in der ich niemanden kannte. Bis ich am ersten Abend in der Dunkelheit zusammen mit dem Feldwebel alle Stellungen abgegangen war, verging die halbe Nacht. In den Tagen danach mussten zur Klärung der Feindlage ständig Spähtrupps in Marsch gesetzt werden. Es kam vor, dass Spähtrupps einfach nicht mehr zurückkamen, so dass der Verdacht aufkam, sie hätten sich angesichts des nahenden Kriegsendes selbstständig gemacht. Immer wieder wurden feindliche Stoßtrupps abgewehrt, die sich unserer HKL näherten. Ich war froh, als mich einige Tage später zwei Leutnants eines Nachbarregimentes ablösten. Indessen zog sich die Division immer weiter zurück. Von der Grenze nach Süden zur Ostmark trennten uns zwar nur 100 km, aber das nützte uns nichts, denn das Gebiet war bereits von den Russen besetzt. Wir wollten uns wenigstens bis ins noch 400 km entfernte Deutsche Reich nach Sachsen zurückziehen. Aber wir kamen nur langsam voran, denn die Straßen waren voll gepfropft mit Fahrzeugen aller Art. Immer mehr mischten sich Privatautos und Pferdegespanne mit Flüchtlingen zwischen unsere Militärkolonnen. Auf dem Bahnhof in Prerow fotografierte ich noch eine Lokomotive mit dem in weißer Farbe aufgespritzten Schriftzug „Räder müssen rollen für den Sieg“! Leider konnte dieser Film nicht mehr entwickelt werden. Während die ersten sowjetischen Truppen am 22.4.1945 bereits in das Stadtgebiet von Berlin eindrangen und sich einen Tag später, am 23.4., sowjetische und amerikanische Offiziere an der Elbbrücke in Torgau erstmals in Deutschland die Hände reichten, war unsere Aufgabe im Protektorat weiterhin der hinhaltende Widerstand. Da unser Pionierbataillon wegen der notwendigen Sperrmaßnahmen immer zu den letzten zurückgehenden Einheiten gehörte, kam es leider noch einige Male vor, dass man mich ganz plötzlich zu irgendeiner Infanterieeinheit abkommandierte, deren letzter Offizier ausgefallen war. Gott sei Dank schaffte ich es immer wieder, heil aus dem Schlamassel herauszukommen. Als ich mich nach einem dieser Sondereinsätze bei meinem Kommandeur zurück meldete, verriet er mir, dass er schon 14 Tage zuvor meine Beförderung zum Hauptmann eingereicht habe. Leider, vielleicht aber auch zu meinem Glück, hat mich diese Beförderung nicht mehr erreicht. Am Abend des 30. April 1945 vernahmen wir die Nachricht, dass der „Führer und Reichskanzler und oberster Befehlshaber der Deutschen Wehrmacht“ im Kampf um Berlin gefallen sei und an seiner Stelle Admiral Dönitz die Befehlsgewalt der Wehrmacht übernommen hat. Dass Hitler in seinem Berliner Führerbunker zusammen mit Eva Braun, die er einen Tag zuvor geheiratet hatte, Selbstmord begangen hatte, sickerte erst einige Tage später durch. Nun war auch für mich klar, dass in Kürze der Krieg endlich zu Ende sein würde. Aber auch nachdem am 1.Mai 1945 Goebbels mit seiner Familie Selbstmord begangen hatte, dauerten die Tage der Ungewissheit noch an. Am 2.5.1945 kapitulierte die Wehrmacht in Berlin. Am 3.5.1945 besetzen englische Truppen das zur offenen Stadt erklärte Hamburg. Am 4.5.1945 kapituliert die Deutsche Wehrmacht in Dänemark, den Niederlanden und in Nordwestdeutschland. Dagegen erreichte uns im Protektorat am 5.Mai 1945 ein Aufruf unseres Heeresgruppenführers Generalfeldmarschall Schörner mit etwa folgendem Wortlaut: „Als Märtyrer seiner Idee und seines Glaubens und als Soldat der europäischen Sendung ist Adolf Hitler, bis zum letzten Atemzug gegen den Bolschewismus kämpfend, gefallen. Sein Werk und seine Mission werden den kommenden Geschlechtern heiliges Vermächtnis sein. Wir Lebenden haben die Pflicht, in seinem Sinne weiter zu kämpfen. Der Kampf um Deutschlands Zukunft und Freiheit geht weiter ! Nur eiserner Zusammenhalt, unerschütterlicher Widerstandswille und eine stets geschlossene Front führen uns in die Heimat. Ich will Euch geschlossen und in stolzer Haltung in die Heimat zurückführen." Oft habe ich in den dann folgenden langen, trostlosen Jahren in russischer Gefangenschaft an diesen Satz Schörners denken müssen. Ferdinand Schörner galt als einer der brutalsten Generäle, der auch noch in den letzten Kriegstagen Deserteure aufknüpfen ließ, denen manchmal ein Schild um den Hals gehängt wurde mit der Aufschrift: „Ich bin ein Deserteur.“ Beschämend für Schörner war , dass er selbst am 9.Mai 1945 seine Heeresgruppe in Stich ließ, sich seiner Uniform entledigte und, verkleidet in kurzen Lederhosen und aufgesetztem Trachtenhut, nach Tirol auf eine Almhütte flüchtete. Erst eine Woche später wurde er aufgespürt und von den Amerikanern an Russland ausgeliefert. Schörner wurde zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, aber bereits Ende 1954 entlassen. In Deutschland von den ehemaligen Soldaten wegen seiner radikalen Rücksichtslosigkeit, aber eigener Feigheit, stets zu Recht verachtet, starb Schörner 1973 in München im Alter von 83 Jahren. Am 8. Mai 1945 erfolgte im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst im Beisein des sowjetischen Marschalls Georgi K. Schukow die endgültige, bedingungslose Kapitulation aller deutschen Streitkräfte durch den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel. Diese Kapitulation trat ab Mitternacht des 8.5. in Kraft, genau am 9.5.1945, 0:01 Uhr. Auch wir erhielten über Radio und am gleichen Tag auch auf dem Dienstwege von dieser Kapitulation Kenntnis. Die Kompanien wurden angewiesen, sich selbstständig nach Westen bis zum Deutschen Reich abzusetzen. Meine ersten Gedanken waren: Der Krieg ist endlich zu Ende und ich lebe! Es wurde nicht mehr geschossen, aber wir behielten noch immer unsere Waffen bei uns, denn noch fühlten wir uns frei und Herr unserer Entschlüsse.    “Ende März 1945 überschritt unsere 15.I.D. (mot.) nordöstlich von Brünn die tschechische Grenze    und kämpfte sich im Verlaufe des Monats April im hinhaltenden Widerstand westwärts zurück.    Nach Verkündung des Waffenstillstandes scheiterte unser Vorhaben, über Prag ins Deutsche    Reich zu gelangen daran, dass russische Truppen, vom Norden kommend, widerstandslos    Straßen und Orte zwischen Brünn und Deutsch Brod in Besitz nahmen und jeglichen Fahrzeug-    verkehr zum Erliegen brachten.” (Günter Sieling)                     -klicken zum Vergrößern-  Am Morgen des 10. Mai versammelte ich meine Kompanie letztmalig an der Strasse bei Boskowice, ca. 60 km nördlich von Brünn. Mein Hauptfeldwebel teilte die Soldbücher aus und jeder konnte sich von den verfügbaren Lebensmitteln so viel in die Taschen stecken, wie er wollte. Doch unsere Weiterfahrt ging sehr langsam, zeitweise nur schrittweise vonstatten. Plötzlich, wir trauten unseren Augen nicht, kam uns eine Lastwagenkolonne entgegen, voll besetzt mit bewaffneten russischen Soldaten. Sie schwangen ihre Gewehre in der Luft herum, warfen Zigaretten zu uns herüber und riefen lachend: „Voina kaputt! Voina kaputt!!” ( Der Krieg ist aus! Der Krieg ist aus! ). Wir waren überrascht und schockiert zugleich, wähnten wir doch die russische Front noch weit hinter uns in der Slowakei. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, dass es dem Russen gelungen war, zwei Tage zuvor, vom Norden kommend, Prag zu besetzten und uns damit den Weg nach Westen abzuschneiden. Nun standen sich hier zwei bisher verfeindete und bewaffnete Gegner Auge in Auge gegenüber. Die Russen fühlten sich uns gegenüber als überlegene Sieger. Man merkte Ihnen die überschäumende Freude an, während wir eher enttäuscht und bedrückt der Zukunft entgegen sahen. Allenfalls waren wir erleichtert, weil nun nicht mehr geschossen wurde. Schon bald merkten wir, dass es nicht mehr voran ging. Offenbar hatten die Russen die Strasse gesperrt. Irgendwo zwischen Bystrice und dem kleinen Ort Saar sammelte ich die Fahrzeuge meiner Kompanie, denn mir war klar, dass wir nur noch zu Fuß weiterkommen konnten. Ich erinnerte mich, dass sich am Ende des 1. Weltkrieges ganze Truppenverbände, teilweise sogar mit ihren Waffen, heimwärts begeben haben. Der einzige Unterschied war, dass dieses Mal ganz Deutschland bereits von unseren Gegnern besetzt war. In der Hoffnung, dass der Russe auch diesmal keine Lust verspüren würde, sich jetzt noch mit zigtausenden deutschen Kriegsgefangenen zu belasten, entließ ich meine Leute aus dem Kompanieverband. Wir machten unsere Waffen unbrauchbar, verabschiedeten uns voneinander und machten uns westwärts auf den Weg. Ich hatte meinen Leuten freigestellt, sich mir anzuschließen oder sich auf eigene Faust möglichst in kleinen Gruppen durchzuschlagen, denn es hatte sich bereits herumgesprochen, dass die Tschechen Jagd auf herumvagabundierende deutsche Soldaten machten, sie erschossen oder voller Hass aufhängten. 15 Soldaten hatten sich meiner Führung anvertraut, vielleicht, weil ich als einziger aktuelle Landkarten dabei hatte. Wir marschierten weit nördlich der Autostraße durch Felder und Wälder. Als es dunkel wurde, begaben wir uns in einem Waldstück zur Nachtruhe, um Kräfte zu sammeln für den nächsten Tag. Nach der verkündeten Kapitulation Deutschlands erfolgte die vom russischen Nachrichtendienst bisher veröffentlichte „Lage an den Fronten“ jetzt unter dem Namen „Operative Mitteilungen“. Sie lauteten für die Tage vom 13., 14. und 15.Mai 1945 wie folgt (Auszug): „Die in der operativen Mitteilung des Sowjetischen Informationsbüros vom 13. Mai genannte Zahl der Gefangenen hat sich an allen Fronten um 170.000 deutsche Soldaten und Offiziere und zehn Generäle erhöht. Damit wurden zwischen dem 9. und 14. Mai an allen Fronten mehr als 1.230.000 deutsche Soldaten und Offiziere und 101 Generäle gefangen genommen. Die Aufnahme von gefangenen deutschen Soldaten und Offizieren an allen Fronten ist abgeschlossen.” Welches beginnende Leid und Elend sich für jeden einzelnen der Millionen Gefangenen hinter dieser lapidaren Meldung verbarg, vermochten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzuschätzen. Nachdem nun der Krieg vorbei war und wir noch immer als Soldaten, bzw. freie Bürger herumliefen, fühlten wir uns eigentlich noch gar nicht als Gefangene. So zogen wir also am Morgen des 12. Mai 1945 weiter über Stock und Stein und blickten gegen Mittag von einem Hang auf eine Strasse hinunter, die von der Stadt Deutsch Brod nordwärts nach Königgrätz führte und auf der ein dichter Verkehr russischer Militärfahrzeuge herrschte. Wir beschlossen, bis zur Dunkelheit zu warten, um dann die Strasse zu überqueren und legten unter den schattigen Bäumen eines einzeln stehenden Gehöftes eine Rast ein. Die sich ängstlich gebärdenden tschechischen Bewohner dieses Bauernhofes hatten nichts dagegen und versorgten uns mit Wasser und Milch. Das schöne, warme Wetter dieses sonnigen Freitags verleitete die meisten von uns zu einem kleinen Schläfchen. Wir hatten allerdings nicht damit gerechnet, dass ganz offensichtlich von diesem Bauernhof aus die Russen verständigt worden sind, dass sich bei Ihnen eine Gruppe deutscher Soldaten verborgen hält, denn schon eine Stunde später wurde unsere Ruhe jäh unterbrochen, als sechs russische Reiter, mit Maschinenpistolen im Anschlag, zwischen uns auftauchten und auf uns einschrieen. Mein Kompaniemelder, ein Sudetendeutscher, konnte gut tschechisch sprechen und sich deshalb auch einigermaßen mit den Russen verständigen, denn diese beiden slawischen Sprachen ähnelten sich. Die Russen auf ihren Pferden bedeuteten uns, dass wir uns unverzüglich hinunter zur Strasse zu begeben und fortan nur noch in südlicher Richtung entlang der Hauptstraße nach Deutsch Brod zur Gefangenen-Sammelstelle zu marschieren hätten, andernfalls wir Gefahr liefen, als Partisanen erschossen zu werden. Damit hatte in diesem Augenblick unsere eigentliche Kriegsgefangenschaft begonnen.     “12.Mai 1945: Hier am Marktplatz in Deutsch Brodt endete für unsere 15. Infanteriedivision mot.     der schreckliche Krieg, der schon bald als Weltkrieg II in die Geschichte eingehen sollte.     Während Generalfeldmarschall Keitel am 08.05.1945 in Berlin - Karlshorst einen Waffenstillstand     unterzeichnet hatte, der um 0:01 Uhr des 09.05.in Kraft trat, erreichten russische Verbände,     von Norden kommend, bereits am 9.Mai kampflos Prag und das Städtchen Deutsch Brodt.     Derweil führte unsere Nachhut noch Abwehkämpfe durch, um der Division den Rücken frei zu     halten. Das Foto zeigt die Situation, nachdem die Deutschen Verbände entwaffnet worden und     die Pferde ausgespannt worden waren. Die Deutschen Soldaten waren angewiesen worden, sich     auf dem Kasernengelände zur Registrierung zu melden, um Transporte in die Heimat zusammen-     stellen zu können. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass damit die Heimat der     Russen gemeint war.” (Günter Sieling) Quelle und Zitate: [71]  Auszüge aus:  Günter Sieling: Meine Lebenserinnerungen Band II, Verlag Books on Demand, 2011 Mit freundlicher Genehmigung und Unterstützung des Autors Günter Sieling Die letzten Marschbewegungen der 15. I.D. im Zweiten Weltkrieg (Quelle Günter Sieling: Meine Lebenserinnerungen, Bd. II) Deutsch Brod bei Kriegsende (Quelle: Günter Sieling: Meine Lebenserinnerungen, Bd. II)